Das Baltikum – bestehend aus Estland, Lettland und Litauen – ist ein faszinierender Teil Europas, der sich in den letzten Jahren vom Geheimtipp zum Lieblingsziel vieler Radreisender entwickelt hat. Die drei Länder verbinden auf einzigartige Weise unberührte Natur, reiche Kulturgeschichte und eine zunehmende Radfahrfreundlichkeit. Wer hier mit dem Fahrrad unterwegs ist, erlebt stille Wälder, lange Küsten, historische Städte und überraschend viel Vielfalt auf vergleichsweise kleinem Raum.

Estland – Radfahren zwischen Inseln, Mooren und mittelalterlichen Städten

Estland gilt als das fahrradfreundlichste der drei baltischen Länder. Besonders auf den Inseln Saaremaa und Hiiumaa finden Radreisende eine nahezu perfekte Kombination aus ruhigen Landstraßen, gutem Asphalt, hübschen Fischerdörfern und faszinierenden Küstenlandschaften. Die Insel Saaremaa lässt sich bequem mit der Fähre erreichen und bietet eine entspannte Atmosphäre, Leuchttürme, Windmühlen und stille Sandstrände. Hier dominiert die Weite – zwischen Meer, Kiefernwäldern und Heide fühlt man sich manchmal wie allein auf der Welt.

Auch das estnische Festland hat viel zu bieten: Die Fahrt durch den Lahemaa-Nationalpark nordöstlich von Tallinn ist ein Highlight. Hier wechseln sich Wälder, Moore und Gutshäuser ab, dazwischen begegnet man Elchen, Störchen und vielleicht einem Biber. Die Strecke von Tallinn nach Narva entlang der Ostseeküste ist landschaftlich reizvoll und verläuft häufig auf kleinen Nebenstraßen mit wenig Verkehr. Tallinn selbst ist mit seiner fast vollständig erhaltenen mittelalterlichen Altstadt ein würdiger Start- oder Endpunkt jeder Reise.

Lettland – Weite, Wald und ein Hauch Wildnis

Lettland zeigt sich dem Radfahrer oft ursprünglicher und wilder. Das liegt nicht nur an der weiten, waldreichen Landschaft, sondern auch an der geringeren touristischen Dichte. Wer sich für Lettland entscheidet, sollte bereit sein für Natur pur – mit langen Strecken ohne Supermarkt, aber dafür mit umso mehr Stille.

Ein besonders schöner Abschnitt verläuft entlang der Ostseeküste von Kolka bis Jūrmala, Lettlands Seebad westlich von Riga. Auf dem Weg liegt das Kap Kolka, wo die Ostsee und der Rigaische Meerbusen aufeinandertreffen – ein Ort voller Ruhe, mit schroffen Stränden, alten Fischerdörfern und Kiefernwäldern, die direkt bis ans Meer reichen. Das Küstendorf Mazirbe ist ein Zentrum der Volksgruppe der Liven – ein kleines ethnisches Volk mit eigener Sprache und Kultur, die man in kleinen Museen und Kirchen entdecken kann.

Auch das Hinterland Lettlands, etwa der Gauja-Nationalpark, ist ideal für Radler. Die Region rund um Sigulda bietet nicht nur märchenhafte Landschaften, sondern auch tiefe Wälder, Flusstäler, Höhlen und Burgruinen. Hier ist das Gelände etwas anspruchsvoller – dafür umso eindrucksvoller. Von Sigulda ist es nicht weit bis Riga, der größten Stadt des Baltikums, mit ihrem prachtvollen Jugendstilzentrum, der Altstadt und einem urbanen Flair, das in spannendem Kontrast zur ländlichen Ruhe davor steht.

Litauen – Historie, Seenlandschaften und Ostseeflair

Litauen ist das südlichste der drei baltischen Länder und besticht durch seine abwechslungsreiche Landschaft: dichte Wälder, sanfte Hügel, klare Seen und eine überraschend lange Ostseeküste.

Die bekannteste Radstrecke führt entlang der Kurischen Nehrung, einem der landschaftlich schönsten Küstenabschnitte Europas und UNESCO-Weltnaturerbe. Die Route von Klaipėda über Nida bis zur russischen Grenze bei Kaliningrad verläuft auf befestigten Wegen durch Dünen, Kiefernwälder und kleine Fischerorte – oft nur wenige Meter vom Meer entfernt.

In der Mitte des Landes liegt die Seenregion rund um Trakai, wo sich das berühmte Wasserschloss Trakai malerisch zwischen mehreren Seen erhebt. Die Gegend ist ruhig, grün und reich an kulturellen Spuren der Karaimen, einer kleinen turkstämmigen Volksgruppe mit eigener Religion und Küche. Hier ist das Radfahren nicht nur entspannt, sondern auch historisch und kulinarisch interessant.

Die Strecke von Vilnius nach Kaunas, den beiden größten Städten des Landes, ist ebenfalls reizvoll. Sie führt durch sanftes Hügelland, vorbei an Wiesen, kleinen Dörfern und Flusslandschaften – ideal für eine gemütliche Mehrtagestour.

Praktische Tipps für deine Baltikum-Radreise

  • Beste Reisezeit: Mai bis September. Im Juni sind die Tage extrem lang („Weiße Nächte“), im Juli/August ist es warm, aber nie zu heiß. September bringt goldene Wälder – ideal für Naturfreunde.
  • Navigation: Gute Radkarten sind empfehlenswert. Viele Strecken sind in OpenStreetMap, Komoot oder Bikemap eingezeichnet. GPS-Gerät oder Smartphone mit Powerbank empfehlenswert, da Netzabdeckung in Wäldern eingeschränkt sein kann.
  • Ausrüstung: Trekkingrad oder Gravelbike ideal. Für Wald- und Küstenwege auch ein MTB geeignet. E-Bikes sind nützlich, aber Ladestationen nicht überall verbreitet – gute Planung erforderlich.
  • Zelten oder Hotels? Camping ist im Baltikum weit verbreitet – oft auch „wild“, aber mit Rücksicht und Sicherheit möglich. Es gibt zudem viele kleine Gästehäuser, Landhotels und Airbnb-Optionen. In den Städten findest du moderne Hostels und Hotels mit Radservice.
  • Kulinarik: Deftige, regionale Küche mit Einflüssen aus Russland, Polen und Skandinavien. Probier in Estland kama (ein Joghurtdessert), in Lettland piragi (gefüllte Teigtaschen) und in Litauen cepelinai (gefüllte Kartoffelknödel). Vegetarische Optionen sind vorhanden, aber eher in Städten.

Radreisen im Baltikum – Entdeckung auf die leise Art

Das Baltikum ist kein Land der Superlative – aber der leisen Wunder. Hier reist man auf dem Rad durch unberührte Natur, begegnet Menschen mit Geschichte und fährt immer wieder durch Landschaften, die einen staunen lassen. Wer Entschleunigung, Naturverbundenheit und eine Mischung aus Kultur und Einsamkeit sucht, findet in Estland, Lettland und Litauen einen echten Schatz. Zwischen Kiefern und Küste, Burgen und Bauernhöfen, singenden Vögeln und stillen Abenden ist man unterwegs in einer Region, die zum Verweilen einlädt – und mit jedem Pedaltritt näher ans Herz wächst.

7-tägige Baltikum-Radreise: Von Tallinn nach Klaipėda entlang der Ostsee

Länder: Estland → Lettland → Litauen

Gesamtlänge: ca. 420–500km

Schwierigkeit: leicht bis mittel (flaches Gelände, teilweise Schotterwege)

Etappenziele: Tallinn → Lahemaa-Nationalpark → Pärnu → Riga → Jūrmala → Liepāja → Klaipėda

 

Tag 1: Ankunft in Tallinn – mittelalterlicher Start

Der Startpunkt dieser Tour ist Tallinn, die Hauptstadt Estlands. Schon bei der Ankunft spürt man, dass hier Geschichte auf Moderne trifft. Die komplett erhaltene Altstadt mit ihren Wehrtürmen, Kopfsteinpflastergassen und gotischen Kirchen ist UNESCO-Weltkulturerbe – und zugleich lebendiger Teil des Stadtlebens. Für den ersten Tag empfiehlt sich ein entspannter Stadtrundgang und eine kurze Einrolltour entlang der Uferpromenade zur Pirita-Bucht, von der aus man die Altstadt aus der Ferne betrachten kann. Das Radwegenetz in Tallinn ist überraschend gut, Leihfahrräder oder hochwertige Tourenräder sind einfach verfügbar.

 

  • Sightseeing in Tallinns wunderschöner Altstadt (UNESCO-Weltkulturerbe): Stadtmauer, Rathausplatz, Domberg
  • Optionale kurze Radtour: zum Kadriorg-Park oder entlang der Küste Richtung Pirita
  • Übernachtung in Tallinn

Tipp: Hochwertige Fahrräder können in Tallinn gemietet werden (auch E-Bikes)

 

Tag 2: Tallinn → Lahemaa-Nationalpark

Am zweiten Tag beginnt die eigentliche Reise. Die Route führt aus Tallinn hinaus in Richtung Lahemaa-Nationalpark, etwa 70 Kilometer entfernt. Schon nach wenigen Kilometern lässt man das urbane Leben hinter sich und taucht ein in eine stille, von Wäldern und Feldern geprägte Landschaft. Lahemaa ist Estlands ältester Nationalpark – bekannt für seine Moorlandschaften, Kiefernwälder und historische Gutshäuser wie Palmse und Sagadi. Wer in einem kleinen Gästehaus oder renovierten Gutshof übernachtet, erlebt eine Seite Estlands, die authentischer kaum sein könnte: einfach, herzlich und naturverbunden.

 

  • Strecke: ca. 65–70 km
  • Fahrt aus Tallinn über kleine Straßen und Küstenradwege in den ältesten Nationalpark Estlands
  • Highlights: Gutshäuser (Palmse, Sagadi), Moorlandschaften, Ostseeküste, kleine Fischerdörfer
  • Übernachtung in oder nahe Võsu oder Altja (ländliche Gästehäuser)

 

Tag 3: Lahemaa → Pärnu (Transfer + Rad)

Der dritte Tag beginnt mit einem Transfer – entweder per Bus oder Bahn – um größere Distanzen zu überbrücken. Von einem geeigneten Punkt aus, etwa nahe der Stadt Pärnu, geht es wieder aufs Rad. Die nächsten 45 Kilometer führen durch eine weite Küstenregion, vorbei an Kiefernwäldern und Dünen, bis man Pärnu erreicht. Die „Sommerhauptstadt“ Estlands ist ein beliebter Badeort mit weißem Sandstrand, gepflegten Parks und einer schönen Altstadt mit Cafés, Holzvillen und Jugendstilfassaden. Es ist ein idealer Ort, um bei einem abendlichen Spaziergang den Tag ausklingen zu lassen.

 

  • Teilweise per Transfer: Zug/Bus bis kurz vor Pärnu, dann Radtour entlang der Küste
  • Radtour: ca. 45 km
  • Pärnu: Estlands Sommerhauptstadt, weißer Sandstrand, Promenade, alte Holzhäuser
  • Übernachtung in Pärnu

Tipp: Abends baden oder den Sonnenuntergang am Strand genießen

 

Tag 4: Pärnu → Grenze → Jūrkalne (Lettland)

Der vierte Tag ist ein längerer Abschnitt: etwa 75 bis 85 Kilometer entlang der Küste in Richtung Süden. Der Verkehr ist gering, die Straßen führen durch kleine Dörfer, Wälder und gelegentlich entlang des Meeres. Hinter dem Ort Ainazi überquert man die Grenze nach Lettland. Die Natur bleibt ähnlich, doch die Stimmung ändert sich leicht: Lettland wirkt etwas ursprünglicher, ländlicher, vielleicht auch einsamer. Das Tagesziel ist das kleine Küstendorf Jūrkalne, das für seine Steilküste bekannt ist – ein wilder, schöner Ort, der sich ideal für eine ruhige Nacht eignet.

 

  • Strecke: ca. 75–85 km
  • Fahrt durch stille Küstenlandschaften, vorbei an kleinen Dörfern und Wäldern
  • Überquerung der estnisch-lettischen Grenze bei Ainazi
  • Ziel: Jūrkalne – schöne Steilküste, perfekte Mischung aus Wildnis und Meer
  • Übernachtung in Jūrkalne (kleine Pension oder Gästehaus)

Tipp: Frischer Fisch und lettische Landküche in familiengeführten Unterkünften

 

Tag 5: Jūrkalne → Liepāja

Am fünften Tag geht es weiter entlang der Ostseeküste bis nach Liepāja, etwa 55 Kilometer entfernt. Dieser Abschnitt ist landschaftlich besonders reizvoll: lange Strände, Dünenlandschaften, alte Leuchttürme und unberührte Natur bestimmen das Bild. Liepāja selbst überrascht viele: Die Stadt ist ein kulturelles Zentrum mit Musiktradition, Jugendstilarchitektur und einem spannenden Mix aus lettischer Geschichte und sowjetischer Vergangenheit. Besonders eindrucksvoll ist der Besuch des alten Militärgeländes Karosta, wo ein ehemaliges Gefängnis heute als Museum dient – ein Ort, der tief in die jüngere Geschichte des Landes blicken lässt.

 

  • Strecke: ca. 55 km
  • Weiter entlang der Küste: unberührte Strände, Kiefernwälder, alte Leuchttürme
  • Ankunft in Liepāja – coole Kulturstadt mit Rockmusik-Tradition und sowjetischer Militärgeschichte
  • Übernachtung in Liepāja (Stadtzentrum oder Strandnähe)

Tipp: Besuch des alten Militärgefängnisses in Karosta – heute Museum & Konzertort

 

Tag 6: Liepāja → Klaipėda (Litauen)

Der sechste Tag ist der letzte große Reisetag auf dem Rad. Die Strecke führt von Liepāja nach Klaipėda in Litauen – rund 75 bis 80 Kilometer entlang der Küste. Der Grenzübertritt erfolgt meist unproblematisch über kleine Landstraßen. Kurz vor Klaipėda passiert man Palanga, Litauens bekanntesten Badeort. Hier kann man eine Pause am Strand einlegen, über die lange Seebrücke schlendern oder den botanischen Garten rund um den Tyszkiewicz-Palast besuchen. Von Palanga aus führt ein gut ausgebauter Radweg direkt bis nach Klaipėda, einer Hafenstadt mit deutscher Geschichte, Fachwerkhäusern und gemütlicher Altstadt. Hier endet die Hauptroute – aber wer noch einen Tag Zeit hat, sollte sich das große Finale nicht entgehen lassen.

 

  • Strecke: ca. 75–80 km
  • Grenzübertritt nach Litauen nahe Šventoji
  • Fahrt entlang der Küste durch den Seebadeort Palanga (mit Seebrücke & Botanischem Garten)
  • Ziel: Klaipėda, Hafenstadt mit Fachwerkhäusern, Altstadt & Zugang zur Kurischen Nehrung
  • Übernachtung in Klaipėda

Tipp: Am Abend Fähre zur Kurischen Nehrung für kurzen Spaziergang oder Sonnenuntergang am Dünenstrand

 

Tag 7: Ausflug zur Kurischen Nehrung

Denn der siebte Tag ist wie gemacht für einen Ausflug auf die Kurische Nehrung, ein UNESCO-Welterbe und eines der landschaftlich eindrucksvollsten Gebiete Europas. Eine kurze Fähre bringt Radfahrer über das Wasser – und sofort fühlt man sich in einer anderen Welt. Auf der Nehrung führt ein gut asphaltierter Radweg durch Kiefernwälder, vorbei an Wanderdünen, Holzskulpturen und endlosen Sandstränden. Eine entspannte Tagestour führt bis nach Juodkrantė und zurück – wer noch weiter fährt, kann in mehreren kleinen Orten übernachten und noch tiefer in die einmalige Atmosphäre dieser Landzunge eintauchen.

 

  • Optionale Tour: ca. 25–40 km auf der Nehrung bis Juodkrantė (und zurück oder per Fähre)
  • Radeln auf gut ausgebautem Küstenradweg durch Kiefernwälder, Dünen und Vogelreservate
  • Besuch: Hexenberg mit Holzskulpturen, breite Strände & Blick zur Haffseite
  • Zweite Nacht in Klaipėda oder Rückreise

 

Zusätzliche Hinweise zur Reise

  • Reisezeit: Juni bis September
  • Verkehr: Meist ruhige Straßen, in Städten Radwege vorhanden
  • Unterkünfte: B&Bs, Hostels, Gästehäuser, Hotels – oft radfreundlich
  • Gepäck: Gepäcktransport über lokale Anbieter möglich oder mit Packtaschen fahren
  • Rückfahrt: Von Klaipėda mit dem Zug oder Fernbus nach Vilnius, Riga oder Tallinn
  • Kombination: Die Reise lässt sich mit einer Fähre von Deutschland (z.B. Kiel–Klaipėda) starten oder beenden

Drei Länder, sieben Tage, unzählige Eindrücke

Diese 7-tägige Radreise durch das Baltikum ist eine perfekte Kombination aus aktiver Erholung, Naturerlebnis und kultureller Entdeckung. Sie führt durch drei Länder, ohne große Höhenmeter, dafür mit viel Raum für Meerblick, Stille, Geschichte und Begegnungen. Eine Reise, die entschleunigt – und in Erinnerung bleibt.

Das Baltikum ist für viele immer noch ein Geheimtipp – vor allem für Reisende auf zwei Rädern. Dabei sind Estland, Lettland und Litauen wie geschaffen für eine Radreise: flache Landschaften, ruhige Straßen, Ostseeküste, Nationalparks und historische Städte reihen sich hier wie Perlen an einer Kette. Wer die Region langsam und intensiv erleben möchte, findet mit dem Fahrrad das perfekte Tempo. Diese siebentägige Route führt von der mittelalterlichen Altstadt Tallinns durch Wälder, Dörfer und Küstenlandschaften bis zur Kurischen Nehrung bei Klaipėda – eine Reise voller Natur, Kultur und nordischer Gelassenheit.

Wer einmal mit dem Fahrrad an der baltischen Küste entlanggerollt ist, im Abendlicht durch Kiefernwälder gefahren oder in einem kleinen Fischerdorf übernachtet hat, wird die Region nie wieder unterschätzen. Das Baltikum ist vielleicht nicht laut, aber dafür überraschend – und genau deshalb so eindrucksvoll.